
Ich mache hier Negativwerbung für meine Ferienwohnung am Meer: bleib zuhause! Denn jeder Strandbadegast ist einer zu viel, genauer: Ich bin das Problem, du bist das Problem, wie der dänische Soziologe Nikolay Schultz in seinem Essay «Landkrank» im Selbstversuch und damit für uns alle festgestellt hat. [1]
Die Strände des Mittelmeers
sind vor allem in der Sommersaison hoffnungslos überfüllt. Und jeder Mensch, der über den Strand bis ins Wasser läuft, um sich abzukühlen, und danach zurück auf seinen Liegestuhl zwecks Bräunung, trägt zur Erosion des Strandes bei, zertritt Seegras, stört Jungfische und junge Krebse und trübt das Wasser mit Sonnenöl, Schweiss und allenfalls Urin. [2]
Zudem ist das Mittelmeer sowieso viel zu warm und wird von Jahr zu Jahr wärmer, das wärmste unter allen sich erwärmenden Meeren weit und breit. Die kühlende Wirkung für Badegäste wie du und ich nimmt ab; doch das ist das kleinste der Probleme. Das Mittelmeer verliert seine uralte Funktion, die Sommerhitze über den umliegenden Ländern auszugleichen und vor allem die nächtlichen Temperaturen erträglicher zu machen. Am schlimmsten aber sind die Lebewesen im Meer selbst betroffen; viele Tier- und Pflanzenarten können mit der Erwärmung des Wassers nicht mithalten; das Leben im Meer verarmt, die Biodiversität nimmt ab und die im Mittelmeer ohnehin fragwürdige Reinheit und Qualität des Wassers sinken noch mehr. [3]
Also zuhause bleiben,
Klimaanlage anwerfen oder wenigstens Ventilatoren, und gut ist. Nichts ist gut. So wie wir im Winter das Klima aufheizen, um es in den eigenen vier Wänden warm zu haben, trägt auch Kühlung zur Klimaerwärmung bei, individuelles Schönreden und Entschuldigen hin oder her. Vom Gipfel der individuellen Obszönität gar nicht zu reden, in der man sich für kurze Wege ins Auto setzt, die Klimaanlage anwirft und den Motor der Kühlung wegen laufen lässt, während man auf die ungefragt, aber selbstverständlich verwöhnten Kinder wartet, die man von der Schule oder einer Freizeitaktivität abholt, zu beobachten auf der kleinen Strasse vor meinem Haus und bei jedem Einkauf, bei dem mir Autos im Wege stehen.
So heizen wir alle, ich und du, die Atmosphäre auf und damit die Meere. Ein Teufelskreis, aus dem nur wir selber ausbrechen können. Ausbrechen müssen. Heute, morgen, jeden Tag etwas mehr. Es ist eigentlich nicht so schwierig, wenn man weiss, was auf dem Spiel steht.
Ja, ich gestehe, ein Kühlschrank steht auch in meiner Küche und läuft tagein, tagaus. Im Sommer hilft er mir, mich von Ihnen kühl zu halten, mit kühlem Wasser aus dem mit Kräutern und Zitronen bestückten Krug und mit Salaten jeder Art, Melonen mit Chicorée und Kräutern, Gurken mit Zwiebeln und Feta oder Tofu, Kichererbsen mit Tomaten und Peperoni und andere Leckereien mehr – solange auf der Erde überhaupt noch etwas wachsen kann… Ich habe im Juni zwei Kilo abgenommen, nicht mit Absicht, doch weniger Fett am Körper hilft in der Hitze schon.
Und was soll ich nun
mit meiner Ferienwohnung am Meer, vor 13 Jahren gekauft in später Erfüllung eines Bubentraums und bis zum Wegzug ins Hinterland vor vier Jahren stets von mir bewohnt? Soll ich sie nicht mehr bewerben, um «meinen» Strand, der vor allem an sommerlichen Wochenenden von Tausenden erobert wird, von ein paar Badegästen zu entlasten? Soll ich sie verkaufen an jemanden, der es sich leisten kann, sie nur drei Wochen jährlich zu nutzen? Soll ich selber wieder dort einziehen, weil ich dank meines Wissens um den schlechten Zustand des Strandes und des Schmerzes hierüber mit Sicherheit die geringste Belastung dieser verletzlichen Umwelt bin? Oder soll ich die Wohnung leer stehen lassen, als Protestmahnmal gegen die Industrialisierung der Strände in Italien und andernorts?
(Nachtrag November 2025: Wohnung verkauft!)
PS: Während ich dies schreibe, streikt mein Laptop immer wieder; er hat zu heiss. Warum schreib ich nicht von Hand? Warum muss ich es hier veröffentlichen, wo’s eh kaum jemand bis zum Ende liest, geschweige denn bis zum Ende denkt? Darum hör ich auf. Es ist eh zu heiss.
Lesestoff:
[1] Besprechung von Nikolay Schultz’ Essay «Landkrank» – https://www.republik.ch/2024/02/10/nikolaj-schultz-der-hoffnungsmacher
[2] Sie würden den Strand betonieren, wenn sie dürften – https://think.fish/wp-content/uploads/2025/05/Marina-Julia.pdf
[3] Die Meere im Hitzestress – https://www.republik.ch/2023/09/13/die-meere-im-hitzestress

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